Braşov: km 2470

Versetzten wir uns einmal in die Lage eines gewöhnlichen Braunbären. Etwa einszwanzig hoch, zwei Meter lang, dunkelhaarig, Single, bisschen eigensinnig. Wir nennen ihn Viorel, typisch rumänisch. Stellen wir uns also vor, Viorel sitzt eines sonnigen Morgens irgendwo im Wald südlich von Braşov in Transsilvanien. Er hat gerade gefrühstückt, vermutlich Wühlmäuse, lahme Eichhörnchen aber vornehmlich Wurzeln. Er muss auf seine Linie achten, denn er hat ordentlich zugelegt über den Winter. Viorel sitzt also rum, lässt sich die Sonne auf den Pelz scheinen, kratzt sich am Hintern und puhlt in den Zähnen. Ihm geht’s gut, nichts stört. Aber dann…

Plötzlich hört er weit unten im Tal ein Geräusch: „Uuuuuiiiiii, Uuuuuiiiii!“. Er spitzt seine Bärenohren und ahnt Böses. Die Rufe kommen näher, langsam zwar aber ganz sicher. „Uuuuuiii Uuuuiiii!“ unterbrochen von Gelächter und Gequatsche. Äste knacken.

Menschen. Na super. Vorbei mit der Ruhe. Viorel lässt resignierend den Kopf nach unten sacken, atmet schwer. Süß, wie sie immer wieder versuchen, ihm mit solch dämlichem Rumgeschreie zu verjagen.

Viorel hat jetzt zwei Möglichkeiten. Er könnte seine Bärenshow abziehen. Volles Programm: Listig durchs Gehölz stromern, die Menschen einkesseln, Sprint, auf die Hinterbeine stellen, brüllen, angreifen, mit den Pranken Halsschlagadern aufreißen, Gedärme aus Bauchhöhlen rupfen, die besten Bissen auffressen, rülpsen, nach Hause gehen.

Früher hat er das öfter gemacht. Da war er noch jünger und tat den Menschen gerne den Gefallen. Heute nicht mehr. Viorel ist viel zu faul, aufzustehen. Seine Beine sind eingeschlafen und er sitzt gerade in so einer richtig schönen Kuhle, in die sein Hintern perfekt reinpasst.

Nein, heute nicht. Sollen sie ruhig weiterschreien und sich freuen, dass er zumindest die Nacht zuvor ein paar Spuren im Schnee hinterlassen hat.

Bärenspur

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Mittlerweile ist es Abend. Der Wald ist wieder ruhig, die Menschen haben sich verzogen. Viorel hat den Nachmittag über geschlummert und ein paar Kapitel im neusten Stieg Laarson gelesen. Er setzt seine Brille ab und reibt sich die Augen. Es grummelt im Bauch. Zeit für Abendessen.

Pizza! Sein Laster. Deshalb kriegt er auch seinen Speck an den Hüften nicht runter. Egal. Pizza gibt’s meistens in den großen Müllcontainern am Stadtrand. Viorel tapst also in Richtung Tal. Er macht hinter einer alten Eiche Halt und genießt den Blick auf die Lichter von Braşov. Mmmhhhh … und er freut sich auf sein fettiges Mahl.

Nicht weit von ihm, so 15, 20 Meter, hält ein Auto. Der Motor geht aus, die Scheinwerfer auch und die Fenster nach unten. Geflüster, Gekicher. Hört sich an wie die zwei Vögel von heute Vormittag. Das Auto fährt weiter, ein Meter, zwei Meter, und hält wieder. Viorel sieht die beiden ganz genau. Eine Frau und ein Mann. Beide um die 30. Und wie sensationsgeil die in seine Richtung starren … Sehen können sie ihn nicht. Echt jetzt? Nicht mal abends lassen sie ihn in Ruhe?

„Unangenehme Zeitgenossen“, denkt sich Viorel. Fahren am Stadtrand entlang, wie Kinderschänder auf Opfersuche, nur um ihn zu sehen. Nein, das muss er sich jetzt nicht geben. Er macht kehrt und läuft zurück in den Wald. Dann eben keine Pizza. Ist auch besser für die Linie.

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Braşov ist tagsüber übrigens bärenfrei und ein ganz entzückendes mittelalterliches Städtchen. Zum Stadtrundgang.

Dracula wollte ich auch besuchen. Er war aber nicht zu Hause. Zur Schlossbesichtigung auf Castelu Bran.