Sechs Nächte in den Gipfeln des Nelson Lakes National Parks. Ganz alleine. Eine Probe fürs Gemüt, wenn der Geist zur Ruhe kommen soll und nichts als Flausen im Kopf hat.

So viele Menschen, Gesichter, Sprachen, Geschichten in den vergangenen Wochen – ein bunter Cocktail, so lange gerührt und geschüttelt, bis er nur noch nach Zucker und billigem Schnaps schmeckt.

Was bleibt sind Kopfschmerzen. Gegen solch einen Mordskater hilft nur Wasser, viel Wasser. Das gibt’s im Nelson Lakes National Park in den nördlichen Alpen Neuseelands. Nichts als das Rauschen des Travers Rivers und Vogelgezwitscher. Ruhe, Einkehr, Einsamkeit und ein Rucksack voller Instantfutter.

Sechs Tage habe ich mir Zeit genommen, um von St. Arnaud am Kopf des Lake Rotoiti bis zum Travers Saddle am Ende des Tals zu wandern, mit Abstechern zu den Gipfel-Hütten rechts vom Pfad. 30 Kilometer, gut 2.000 Höhenmeter hoch und runter und wieder hoch und wieder runter. Geht auch schneller, muss aber nicht.

Es ist Nebensaison. Von den Handvoll Leuten, die im Park unterwegs sind, bekomme ich wenig mit. Die Hütten habe ich für mich alleine. Das ist schön, das hab ich gesucht: Vier Wände in einer Felsspalte, im Ofen bullert das Holzfeuer, auf dem Gaskocher blubbert das Curry-Chicken-Irgendwas. Abends färbt die Dämmerung die verschneiten Gipfel um mich herum erst orange, dann blau, dann schwarz. Ja, das sind Momente der Einkehr. Aus dem Fenster schauen. Tee trinken. Sonst nichts.

Nur: der Geist taugt nicht zum Nichts tun. Irgendwie doch doof so ganz allein. Dann wünscht man ihn sich, den lone- und handsome Stranger, der erschöpft aber glücklich nach Einbruch der Dunkelheit an der Hütte im Nirgendwo ankommt – meiner Hütte in dieser Nacht. Er wirft seinen Rucksack in die Ecke, wischt sich den Schweiß aus der Stirn, die Flammen flackern in seinen Augen und …

Blick auf Mt. Hopeless in der Abenddämmerung - © Pia Röder

Stop! Das Leben ist kein Groschenroman. Wer um diese Zeit durchs Hochgebirge schleicht, kann nur ein durchgeknallter Redneck mit Knollennase und Führungszeugnis sein. Also: Allen Mut zusammennehmen, raus in die Dunkelheit und die Axt aus dem Holzschuppen holen. Ich will es dem Verrückten schließlich nicht zu leicht machen. Die Türen verrammeln und ab in den Schlafsack.

Da liege ich nun, wie eine dicke schwarze Made, im hinterletzten Eck unter einem Tisch – minimaler Einblick von draußen. Und jetzt schlafen. Schlafen, hab ich gesagt! Keine Chance. Meine Wimpern kratzen bei jedem Blinzeln am Nylon, wie Fingernägel auf einer Schiefertafel. Jedes Schaben, jedes Knacken jagt einen Stoß Adrenalin durch meine Eingeweide. Meine heißen Wangen pochen auf der eiskalten Klinge der Axt. Bald ist morgen, bald ist hell, ganz bestimmt.

Am Morgen ist alles vergessen. Ich sitze mit frisch gebrühtem Tee auf der Veranda und die Sonne lacht mich aus. Dummes Mädchen. Ich zwinker zurück. War doch gar nicht so wild. Wenn es wieder hell ist, hat der Geist Zeit zum Müßiggang. Schau, wie hübsch der Tau auf den Gräsern funkelt. Räuspern, Selbstgespräche, der erste Schritt hin zum Wahnsinn.

Ja, wer die Einsamkeit sucht, der findet Ruhe und Genügsamkeit. Der findet aber auch psychische Abgründe. Vor allem aber findet er Momente, die nicht wie Zucker und Schnaps auf der Zunge kleben bleiben. Er findet Momente wie ein Schluck kaltes, klares Wasser.

Info

 

Hinkommen zum National Park ist schwierig. Es fahren nämlich keine regulären Busse zu den Seen bei St. Arnaud, 150 km südlich von Blenheim. Also bleibt nur trampen oder – die Langweiler-Variante – das Nelson Lakes Shuttle auf Zuruf.

Egal wie: Dort angekommen, erst mal im Visitor Center anmelden und die Hütten buchen. Die kosten zwischen 5 und 20 NZD pro Nacht. Bei der Anmeldung gibt’s auch Campingkocher und Gaskatuschen. Dann im einzigen „Supermarkt“ St. Arnauds zu teures Essen kaufen, in einen möglichst kleinen Rucksack quetschen und go! Viel Spaß.