Ich hasse es, wenn man mich im Zug nicht in Ruhe lesen lässt. Ich hasse es wirklich. Da sitze ich schon möglichst seperat, baue auf dem Platz neben mir mittels Tasche, und Jacke ein Schutzschild gegen potentielle Banknachbarn auf und trotzdem fühlen sich manche Menschen eingeladen, sich neben mich zu setzen. Auch wenn das Abteil halb leer ist!!!Normalerweise schlage ich dann übertrieben heftig meine Zeitschrift/Zeitung zu, klemme sie mit einer theatralischen Geste zwischen Oberschenkel und Sitz und räume betont langsam meinen Kram beiseite. Der Störenfried bekommt ein mattes Lächeln bevor ich meine Lektüre ruckartig wieder aufschlage und besonders laut umblättere. Ein divenhaftes Seufzen kombiniert mit einem Kopfschütteln rundet dann in der Regel die Vorstellung ab.Sofern der Eindringling nicht unbedingt kommunikativ sein will und anfängt zu reden. Mit mir. Weiß der Teufel warum. Normalerweise antworte ich knapp mit „Aaahja…“ oder „Aha, ja so ist das…“, den Blick immer schön auf die Seiten gerichtet. Das funktioniert auch ganz gut. Nach ein paar Minuten fällt dann auch dem letzten Idioten auf, dass ich absolut kein Interesse an Unterhaltungen über das Wetter oder die Zugverbindung nach Frankfurt habe. Weil: am Wetter kann man sowieso nichts ändern und solang ich in Frankfurt ankomme, ist mir auch ziemlich egal seit wann das Bahn-Unternehmen schon die Strecke genau so abfährt wie sie sie abfährt.Das klappt eigentlich immer. Außer bei einer bestimmten Art von Mitmensch: Sie ist weiblich, zwischen 68 und 120, geht am Stock und trägt einen Hut, um die Seniorendauerwelle vor Wind und Wetter zu schützen. Wenn alte Damen mühsam angewackselt kommen und so nett lächeln, kann man einfach nicht anders, als auch nett zu sein. Das ist wie mit kleinen Kindern. Wenn die lachen, muss man ja auch lachen. Mit denen fängt man auch zwangsläufig an zu spielen, wenn sie sich neben einen setzen. Nun, ich hab mit der alten Frau nicht Ringelrei getanzt. Aber ich bin zumindest schon mal nicht ausgeflippt als sie „Ahje, schneit ja draußen!“ gesagt hat. Stattdessen habe ich brav meinen Spiegel beiseite gelegt und „Jaaaa, wird mal Zeit, dass es Frühling wird. Blüht ja schon alles.“ geantwortet. Dann erzählte sie mir völlig ohne thematische Überleitung von ihrer Schwiegertochter, die an Brustkrebs leidet. Das traf mich dann doch recht unvorbereitet. Der Spiegel wanderte in die Tasche, Köhler und Konsorten können warten. Noch 20 Minuten bis Frankfurt/Main Hauptbahnhof.