Die letzte Zarin von Russland, Katharina-Olga XII., plegt ihren Lebensabend in Darmstadt zu verbringen. Über die Sommermonate bezieht die ihr Domizil im Herrngarten und bettet ihr adeliges Haupt matronenhaft auf ihrem königlichen, grau-beigen Teppich. Die in die Jahre gekommenen Hüften umschmeichelt ein Hauch von rotem Nichts. Ein Erinnerungsstück aus der Frühjahrskollektion des Jahres 1958. Kleine Blüten ranken sich über die üppigee Oberweite, die gewiss das Weite zu suchen scheint. Das schütterne Haar, das nur noch die Seitenpartienen flüchtig umspielt, weht im Wind.

Sie beäugt ihre Untertanen, dreht und wendet sich, winkt dem Volke mit den Zehen näckisch zu. Sie war eine Schönheit. Damals. Die Männer lagen ihr zu Füßen. Die Mächtigen der Welt. Sie hat von ihrem Sexappel kaum was eingebüßt, trotz der in die Jahre gekommenen Oberschenkel. Noch immer lupft sie keck den Rock und schiebt sich lasziv die Brüste wieder vor den Brustkorb. Sie weiß noch immer, wie es geht – wie man die Blicke auf sich zieht.

Adelig zu sein war immer ein schweres Los für sie. Zu gerne hätte sie zu dem einfachen Fußvolk gehört. Schausteller und Wahrsagerinnen begeisterten sie sein je her. Wenn keiner hinschaut, kramt sie ihre Katze unter der rechten Brust hervor und lässt sie auf ihrer Schulter platznehmen. Oder sie zückt ihr kleines Dreirad, setzt ihre rote Nase auf und fährt durch ihr Altersdomizil. Immer auf der suche nach sich selbst und ihrem ungelebten Traum…