Wie viel Geschichte passt in vier Tage? Ein Ritt durch 6000 Jahre England – vom steinzeitlichen Stonehenge bis zur neusten futuristischen Attraktion im Seebad Brighton.
4000 v. Chr. – Stonehenge: Ancient Public Viewing
Bis heute hat niemand eine Ahnung, was Stonehenge eigentlich sollte. Warum da Dutzende Felsbrocken einfach in der Botanik rumstehen. Ich stell mir das so vor: Jeden Sonntag zur prähistorischen Premiere League kamen die Männer des Stammes zusammen, spannten eine Plane über das steinerne Konstrukt (zur Sonnenwende schlicht zu hell für den Beamer) und grillen frisch erlegten Auerochsen am Spieß. Dazu gibt’s fußgestampfte Hopfenschorle ohne Schaum, und alle brüllen für den SC Pebbleton mit seinem Star-Libero (gab’s ja damals noch) Andrew Stone. Schade eigentlich, dass die Anlage heute nur noch dazu genutzt wird, im Konvoi Touristen zu den Steinen zu karren. Raus aus dem Bus, 15 Minuten dem Museumsroboter im Walkie-Talkie zuhören, Selfie-Stick klick klick, rein in den Bus, Abfahrt. Ich seh‘ da großes Potenzial für die EM 2016.
1066 – Hastings: The Battle of Fish’n’Chips
In Bierteig ausgebackene Fischhappen mit dicken frittierten Kartoffelstäbchen ist erst so seit 200 Jahren das (in)offizielle Nationalgericht der Briten. Das gab’s also aller Wahrscheinlichkeit nicht zur Stärkung, als sich die Angelsachsen und Normannen 1066 in Hastings die Schädel eingeschlagen haben. Kaum zu glauben, denn in dem nett-verpennten Seebädchen an Englands Südküste wird aus gefühlt jedem zweiten Fenster Fish’n’Chips verkauft. Bemerkenswert, denn das Städtchen hat wegen zu krasser Gezeiten nicht mal einen Hafen. Die Fischerboote werden seit jeher einfach an den Strand gezogen – Stütze dran an die Einrümpfer, damit nichts umfällt. Netze und Fangkörbe lagerten früher in „Net Shops“, heute liegen die einfach am Strand neben kleinen toten Haien. Beifang braucht keiner. Fish’n’Chips wird traditionell aus Kabeljau gemacht.
1509 – Hampton Court Palace: Living the f***in` dream!
So ein Mann, so ein Mann … Tudorkönig Heinrich VIII. wusste, wie man lebt. Er war Herr über England und Irland sowie über 2,43 Hektar märchenhaft angelegte Gärten. Tim Burton hätte die sich in seinen kühnsten LSD-Träumen nicht kitschiger ausmalen können. Hampton Court Palace mitten in London war die Spielwiese des Königs. Doch Buchsbaum-Labyrinthe hat er hier sicher nicht getrimmt. Dafür hatte er Personal (heute heckeln hier um die 50 Gärtner, damals sicher noch mehr). Nein, Henry hat hier mit seinem Gefolge gefressen: 1240 Ochsen, 8200 Schafe, 2330 Rehe, 760 Kälber, 1870 Haus- und 53 Wildschweine – jedes Jahr. Heruntergespült wurde das mit 2,7 Millionen Litern Bier. Kaum zu glauben, dass er es mit derart vollem Pansen noch fertiggebracht hat, sich mit seinen sechs aufeinander folgenden Frauen nach Lust und Laune in die Büsche zu schlagen und fleißig Töchter zu zeugen. Hübsch anzuschauen zwar, aber als Thronfolger offiziell völlig ungeeignet. Unter anderem deshalb mussten die Gattinnen gehen, gerne auch unfreiwillig und kopflos.
1801 – Bath: Afternoon Tea with Jane
„Florenz des Nordens“, wenn ich so was schon lese. Aber es stimmt! Bath ist tatsächlich reizend. So reizend, dass man gar nicht weiß, wo man als erstes hinrennen soll. Zum Circus? Zum Assembly Room? Zu den römischen Bädern? Oder zu all den Orten und Gebäuden, die Jane Austin einst Muse und Bühne für ihre Schmacht- und Schluchz-Romane war? Erstmal hinsetzen, ausruhen, sammeln. Das geht ganz ausgezeichnet beim Afternoon Tea in Francis Hotel. Süße Häppchen, herzhafte Pastetchen und üppig verzierte Miniatur-Törtchen stapeln sich auf geblümten Etageren, dazu zwölferlei Sorten duftigster Tee, kredenzt von französischen Erasmusstudenten. Derart gestopft und genudelt kugelt es sich gleich viel angenehmer durch das UNESCO-Welterbe, wo sich Möwen ungefragt auf Touristen entleeren und wo aus dem Open-Air-Stadion von der anderen Seite des Avon das süße Gebrüll der Rugby-Fans durch die Altstadt hallt. Bath ist wundervoll. Ich will hier leben, für einen Sommer, und fett werden.
Die Cotswolds sind so etwas, wie das Provinz gewordene Bath. Die (ja, man muss es so sagen) arg pittoresken Dörfchen Upper- and Lower Slaughter sind wie geschaffen, um hier als solventer Silverager in Glück und Seelenfrieden die letzten Jahre zu verbringen. Denken sich auch die Promis: Madonna, Liz Hurley und Hugh Grant sollen ebenfalls Domizile in Englands Vorgarten haben.
1979 – Beachy Head: At least Punk is not dead
Diese Aussicht! Vom 162 Meter hohen Beachy Head bei Eastbourne blickt man meilenweit die kalkweißen Klippen der englischen Südküste entlang – bis zur Felsformation „7 Sisters“. Der Leuchtturm mit seinen immerhin 44 Metern sieht von hier oben aus wie eine dürre Zuckerstange. Hier, wenn einem der frische Wind so richtig schön das Hirn durchpustet, fühlt man sich so frei, so selbstbestimmt. Ein Ort, wie gemacht, um sich umzubringen. Der Felsen ist berüchtigt und beliebt als finaler Absprungpunkt. Selbst die Asche Friedrich Engels‘ wurde auf seinen eigenen Wunsch hin von seinen Freunden von hier ins Meer gestreut. Da war er allerdings schon tot. 1979 hat die Band The Who mit Quadrophenia dem Punkrock und dem Beachy Head ein filmisches Denkmal gesetzt. Auch der Protagonist stürzt sich in der Schlussszene von Englands höchster Klippe.
2016 – Brighton: iCan‘tSeetheSenseInThat
Brighton war mal ein mondänes Seebad, mit gleich zwei Pieren. Weiß getünchte Hotels im Regency-Stil reihten sich wie Perlen entlang der Uferpromenade, ein Tummelplatz der High Society. In den 1960ern verschandelte der Brutalismus mit Betonburgen die Stadt. Anfang des Jahrtausends brannte der West-Pier komplett aus, und „London by the Sea“ war der Glanz genommen. Gar nicht schlimm, denn Brighton macht sich rund um die Lanes mit dem „Extraordinary mix of Antiques and Jewellery Shops, Fashion Boutiques, Live Jazz, Craft Beer and Funky Coffee-Bars“ (O-Ton jeder Touri-Website) ganz wunderbar als Modellstadt der Jugendkultur. Und dabei gar nicht Hipster. Eher so punkig, nur halt mit Bärten, engen Hosen und Karohemden. Also Punk-Hipster, quasi. Und ABBA hat in Brighton mal den ESC gewonnen. Aber das reicht nicht! Brighton braucht etwas Neues, Spektakuläres! Deshalb baut man jetzt am Ufer, direkt vor dem alten ausgebrannten Pier, das i360. Ein 137 Meter hoher Stahlzylinder mit Aussichtsplattform, geformt wie ein gläserner Donut. 30 Minuten dauert eine Fahrt hinauf und wieder hinunter. Eröffnung ist diesen Sommer. Unten gibt’s Kaffee und Kuchen. Tourispaß 2016.
Der Trip durch Südengland wurde unterstützt von Wikingerreisen und Visit Britain.
One comment
Sehr amüsant geschriebene artikel; ich möchte bitte mehr!
Wenn’s geht live 😉