„Willst Du mich wie einen Schlappschwanz dastehen lassen“, brüllt er mich an. „Ich lass mir doch nichts vorschreiben“, denke ich zurück. Was man als patente Frau im Westjordanland alles falsch machen kann.

Es ist schon eine Weile her, dass ich die Palästinensischen Gebiete besucht habe. Das war Februar 2012 während meiner Reise durch Israel. Damals gab’s einen Vorfall. Okay, das klingt jetzt etwas zu dramatisch. Sagen wir, etwas ist mir seitdem im Gedächtnis geblieben …

Ich bin nicht alleine unterwegs. Mich begleitet ein deutscher Ingenieur, weit gereist mit einiger Erfahrung mit den Sitten in arabischen Ländern. Der ideale Gefährte also, um spontan von der Altstadt Jerusalems „rüber zu machen“ in die besetzten Gebiete.

Früh morgens treffen wir uns am Busbahnhof am Damaskustor. Die Fahrt nach Bethlehem dauert keine 20 Minuten. Im Bus schwatzen ältere muslimische Frauen leise miteinander. Ein paar Arbeiter dösen, ihre Köpfe dotzen bei jedem Schlagloch an die Fensterscheiben. Die Passkontrolle an der Mauer – viel massiver und erdrückender die in Berlin – verläuft ohne Zwischenfälle. Wir sind drin.

Bethlehem, das ist West Bank light, was für die Touris. Saubere Straßen, Souvenir-Stände auf dem Platz vor der Geburtskirche, viele deutsche Paare um die 40 – er im obligatorischen schwarzen Jack-Wolfskin-Windbreaker, sie trägt das Damenmodell in lila. Die Fassaden sind sauber, die Menschen freundlich, wenn auch religiös etwas fragwürdig. Gerade die Besucher aus den Vereinigten Staaten mit ihren Aschekreuzen auf der Stirn. Aber ich mische mich da nicht ein.

Ein Taxi bringt uns zur Mauer, zu den Graffitis – Wandbilder, einst gesprayt mit Pathos, jetzt von den Abgasen ganz grau vor Resignation. Wir knipsen ein paar Bilder, lassen uns vor der Betonwand mit gestelltem Lächeln fotografieren. Das übliche. Ich gehe alleine zurück zum Auto und setze mich vorne neben den Taxifahrer. Der schaut irritiert. Als meine Begleitung auch zurückkehrt, versteht der die Welt nicht mehr. Ob ich ihn wie einen Schlappschwanz dastehen lassen wolle, fragt er mich. Nein … aber … meine linke Augenbraue wandert Richtung Haaransatz. Er erklärt mir recht bestimmt, dass hier im Auto der Mann vorne sitzt, Frauen nehmen hinten Platz. Und einfach mal locker mit dem Fahrer quatschen, ist auch nicht. Ich tue sein Gerede als das eines Kerls mit schlappem Schwanz ab und bleibe vorne sitzen. So.

In Hebron, eine halbe Stunde Busfahrt weiter südlich, mache ich gendertechnisch auch alles falsch. Ich trage keine Kopftuch, dafür aber Hosen. Ich gehe zu schnell, und ich frage Passanten forsch nach dem Weg. Da kaum Frauen auf der Straße unterwegs sind, spreche ich zwangsläufig Männer an. Einer, klein und hager mit müden Augen, stammelt ein paar englische Brocken. Ich hake nach, er wird sichtlich nervös. Dann zerrt mich mein Begleiter weg. Erstens: Ich könne nicht einfach drei Schritte vor ihm laufen, eine Frau läuft hier hinter dem Mann. Und zweitens spreche eine Frau nicht einfach wildfremde Männer auf der Straße an. Das gehöre sich nicht.

Was sich nicht gehört, denke ich mir, ist mich in meiner Selbstbestimmtheit zu beschneiden. Natürlich denke ich das nicht wortwörtlich. Meine Gedanken folgen ja nicht Alice Schwarzers Kugelschreiber, wenn sie Phrasen für die nächste ARD-Talkrunde in ihr lila Notizbuch kritzelt. Eigentlich denke ich mir „F*** dich halt mal mit deinem Machogelaber“. Der Rest des Tages schweigen wir.

Jetzt, fast zwei Jahre nach dieser Reise, muss ich noch immer an diese Situationen denken. Eigentlich hatte mein Begleiter ja recht. Wenn man ein fremdes Land besucht, muss man sich den Sitten und Gepflogenheiten dort anpassen, muss man sensibel sein für die Kultur, die so anders ist als die zuhause.

Muss man? Oder soll man, gerade wenn man fremd ist, das auch zeigen und so rechtfertigen, dass man sich nicht an die Regel halten kann, weil man sie schlichtweg nicht kennt?