Ich dachte ja erst, es sei was passiert. Sack Reis umgefallen auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt? Alles ruhig in der Stadt, wie in Watte gepackt. Ach, ich komm ja gerade zurück aus Buenos Aires, eine der lautesten Städte der Welt. Das war früher schon so. Vieles andere jedoch hat sich seit meinem letzten Besuch vor 7 Jahren verändert.

Angefangen, seufz, beim lieben Geld: Der Peso ist jetzt viermal so wenig Wert als 2009, dafür kostet alles sechs Mal so viel, und gebührenfrei an VISA-Automaten Geld abheben, is auch nicht mehr. VISA denkt sich nämlich „FU argentinische Wirtschaft“. Gleicht sich kostenmäßig alles für uns reiche Europäer aus … irgendwie.

Die hübsche „Subte A“, die unter der Wohnung meiner Oma rumpelte, gibt’s so auch nicht mehr:

Subte Linea A, Buenos Aires (© Thomas Hobbs)

Nach gut hundert Jahren im Betrieb durften die maroden Holzwaggons in den Ruhestand. Jetzt flitzt eine stinknormale U-Bahn durch den Schacht, innen mit gleißend hellen LEDs und runtergekühlt auf 18 Grad für wohltemperierte argentinische Businesskasper.

Apropos, die sehen noch genau so aus wie damals: braunbeigegraune Chinos, die obligatorische Nummer zu groß, weiße Hemden, die nur bis zur Brustmitte geschlossen werden können, und klobige Anzugschuhe in altersstumpfem Schwarz. Bin kein Fashion-Victim, aber in Mailand wäre der Look vermutlich raus.

Mein liebster Platz in der Stadt hat sich nicht verändert. Im November blühen wie gewohnt die Jacarandas auf dem Plaza San Martin und die ganze Stadt riecht nach Jasminsträußchen, die es an jeder Straßenecke für 30 Peso gibt.

Plaza San Martin

Und über die Souvenier-Hölle La Boca möcht ich an dieser Stelle lieber schweigen.

Der wohl letzte echte Souvenierhändler in La Boca.

San Telmo wurde ebenfalls gentrifiziert. Früher gab es eine Handvoll Kneipen, zu denen man im Dunkeln besser mit dem Taxi gefahren ist. Heute werden hell erleuchtete Fußgägerzohnen im ganzen Viertel ausgerollt. Quilmes, Steinlager oder Budweiser führte man sich damals zweiliterweise zu. Heute trägt Bier das Prädikat „artesenal“ (also „handcrafted“), heißt Indian Pale Ale, Honey oder Scotch, wird in Tulpen serviert und schmeckt eigentlich nur nach Hopfen.

Die Hälfte meiner Familie ernährt sich jetzt vegetarisch. Früher gab’s zu allem Panceta (Speck), der wurde jetzt komplett durch geschmolzenen Analogkäse ersetzt. Und ich habe mittlerweile neun Cousins und Cousinen, von denen die meisten meine Kinder sein könnten. Getting old is not for Sissies.

Argentinische Cousinchen ❤

Dass ich älter geworden bin, merke ich nach den vier Wochen zu Besuch in meiner zweiten Heimat: Zurück in Deutschland genieße ich die vorweihnachtliche Ruhe, diese früher so unerträgliche Stille. Das Hirn darf sich ausruhen. Das ist schön.

Ich liebe dich, mein neues altes Buenos Aires … wenn du nur ab und zu mal leisere Töne anschlagen würdest.